«... sonst sehen wir uns in der Altstadt die Schaufenster genauer an!»

Die Geschichte des Sedels ist schnell erzählt: Ehemaliges Gefängnis, heute Musik- und Atelierzentrum. Doch wie kam es zu dieser Metamorphose?

Sedelbuch

Der Sedelhof gehört ursprünglich zum Schwestern-Kloster Rathausen. 1838 kauft der Kanton Luzern das Gebäude, um es anfänglich als Arbeitshof, ab 1884 als kantonale Strafanstalt zu nutzen. 1932 erfolgt der Neubau zum bis heute markant sichtbaren Zellentrakt-Riegel und die Strafanstalt Sedel erfüllt ihre Aufgabe bis zur Schliessung 1971 (hier lässt sich die Motion zur Revision des veralteten Sedelgesetzes nachlesen). Nach dem Ende der Starfanstalt beginnen Amtsstellen, im Sedel ihre Akten einzulagern.

Als zu Beginn der Achtzigerjahre in mehreren Schweizer Städten, notabene in Zürich, Jugendproteste aufflammen, sorgt dies auch in der Luzerner Politwelt für Gesprächsstoff. Man ist angesichts des Tourismus und dem damit verbundenen «sauberen» Image darauf bedacht, Jugendunruhen oder ähnlich motivierte Krawalle in Luzern gar nicht erst stattfinden zu lassen.

Der Brand des «Kriegerhauses» auf der Luzerner Allmend im Februar 1980 verschärft die Situation unerwartet. In diesem Lagergebäude sind 13 lokale Bands eingemietet, alle durch den Brand von einem Tag auf den anderen obdachlos. Einen Monat nach dem Kriegerhausbrand gründen betroffene Musikerinnen und Musiker die Interessengemeinschaft Luzerner Jazz- und Rockmusikschaffender (IGJR). Ihr Ziel: Neue Probelokale für die lokalen Bands zu finden.

Parallel dazu beginnt die Luzerner Punk-Szene sich zu organisieren. Auch hier steht das Bedürfnis nach Freiraum im Vordergrund. So kommt es zu einem Plakataufruf, um auf die Raumnot aufmerksam zu machen. Der Zeitpunkt scheint günstig. In anderen Städten brodelt es – AJZ lässt grüssen – und die Beteiligten sind sich bewusst, dass diese Umstände die eigenen Forderungen befeuern. Auf den Plakataufruf melden sich über 30 Bands und es wird eine Versammlung einberufen. Vorerst wählt man den friedlichen Weg und fordert mittels Pressemitteilungen Proberäume. Gleichzeitig erhöht man den Druck auf die Stadtregierung und deponiert an die 100 Proberaumgesuche beim damaligen Stadtpräsidenten Matthias Luchsinger.

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Der Luzerner Stadtrat kann trotz verschiedener Raumabklärungen keine Lösung in Aussicht stellen, auch erste Verhandlungen mit dem Kanton bezüglich des Sedels verlaufen im Sand. Denn dieser hat andere Pläne: Er will im Sedel das Bibliothekszentrum der Schweizerischen Volksbibliothek unterbringen. Doch die Unzufriedenheit in der jungen Musikszene ist latent  – und sie wächst. Im Dezember 1980 gründet sich die Interessengemeinschaft Jugend- und Musikszene Luzern (JMS). An einem Treffen Anfang Januar 1981 kündigt die JMS für den 7. Februar eine Demonstration durch die Luzerner Innenstadt an (von diesem Anlass stammt das Titelzitat dieses Texts). Auf diese Kampfansage hin reagiert der Stadtrat rasch und nimmt die Verhandlungen über den Sedel mit dem Kanton wieder auf . Mit Erfolg. Am 19. Januar 1981 treten die kantonalen Behörden den Osttrakt des Gebäudes provisorisch ab, worauf die JMS die anberaumte Demonstration kurzerhand in ein friedliches Dankeskonzert in der Luzerner Altstadt verwandelt.

Darauf schliessen sich die beiden Vereine JMS und IGJR zur ILM (Interessengemeinschaft Luzerner Musikerinnen und Musiker) zusammen, da die Stadt verlangt, dass nur ein Verein den Sedel führt.

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Am 15. April 1981 übergibt die Stadt der ILM den Osttrakt des Sedels – nach einer 300'000 Franken teuren Innenrenovation. Die ILM nimmt sich der Verwaltung des Hauses an und organisiert die Raum-Vermietungen. 

1983, nach zwei erfolgreichen Jahren als Provisorium, stellen die Behörden auch die andere Hälfte (Westtrakt) des Sedels den Musiker*innen und Künstler*innen zur Verfügung. Mit der Bewilligung, das ganze Gebäude nutzen zu können, wird auch der «The Club» gegründet: In der ehemaligen Kantine der Gefangenen finden seither Konzerte und Partys von regionalen, nationalen wie auch internationalen Künstler*innen statt. Die Idee «Sedel» etabliert sich und der provisorische Baurechtsvertrag wird auf 15 Jahre festgelegt. Dieser Vertrag wird seither in 5- bis 10-Jahresschritten neu ausgehandelt.

2021 feiert der Verein ILM Sedel sein 40jähriges Jubiläum: Ein Moment, um zurückzuschauen auf vier fabelhafte Sedel-Dekaden. Aber auch ein Moment, um den Blick in die Zukunft zu richten, mit dem Ziel, genauso weiterzumachen. Mit viel Power, unkonventionellen Ideen und einer schönen Portion Unverfrorenheit. Um zu erhalten und weiterzuentwickeln, was uns am Herzen liegt: Musik. Kultur. Freiraum.

Die Illustrationen auf dieser Seite stammen aus dem Buch "Sedel 1891 – 2001", das die ILM zum 20jährigen Bestehen veröffentlicht hat.

Das Sedelbuch lässt sich hier bestellen.

Text: Adrian Albisser